Andreas Kurz: Ich bin Gott
Ich bin Gott, oder etwas, was diesem Status nahekommt. Wenn ich mich in einem Café aufhalte, ahnt niemand der anderen Gäste wer ich bin. Allein trinke ich mein Bier und rauche. Vielleicht sehe ich für andere aus als wie bestellt und nicht abgeholt. Wie einer, der sitzengelassenen und aussortiert wurde. Wie jemand der genötigt wurde, als das Arschloch von Nebenan zu gelten. Vielleicht als irgendwer, der nicht wichtig erscheint. Trotzdem bin ich Gott, der Schöpfer allen Lebens. Ich führe zusammen, was sich sonst nicht zusammenfügen lassen will, um nebenbei Neues zu erschaffen.
In einem Café auf der anderen Straßenseite sehe ich ein Paar an einem der kleinen Fenstertische sitzen. Beide reden und lächeln einander zu. Sie versuchen sich gegenseitig zu entdecken. Sie sind aufgeregt. Ich gebe ihnen Namen, wie Sweetheart oder Sunnyboy; alles Namen, die ich mir ausdenke. Ich erfinde immer wieder neues Leben, und jeder der Anwesenden ist der Meinung, es sei sein eigenes unabhängiges Leben. Es ist so, als wenn ich auf einem Computer etwas eintippe, und abschließend die Eingabetaste drücke – eben habe ich wieder neues Leben erschaffen. Die ganze Welt verspeist was ich schreibe, um mir nach dem Verdauen irgendwann zu antworten. Sie wählt dann eine Person für mich aus. Meine Worte sind für diese wie Köder an einer Angel. Sie sind wie kleine Fische im großen Ozean, deren Wege allein vom Zufall bestimmt werden. Ich locke sie mit meinen Worten an, indem ich ihnen von jemandem erzähle, der ich vielleicht sein könnte. Einer von ihnen wird mir dann von sich erzählen. So erkenne ich, ob es nur seine Worte sind, oder er wirklich von sich erzählt.
Der Austausch geht hin und her, bis in den Köpfen Bilder entstehen, die mit der Zeit wachsen. Bei jedem Austausch wechsle ich vielleicht auch mein Geschlecht: Einmal bin ich eine Frau, dann wieder ein Mann. Oft mache ich Andeutungen, ohne mich festzulegen. Mal stimme ich dem Gedankengang zu, mal lehne ich diesen ab. Hin und wieder sage ich das Gegenteil von dem, was der andere von mir hören will – manchmal beides: Yin und Yang. Auch wechsle ich gerne die Seiten, denn ich kenne beide.
Immer wenn ich mich neu verabrede, wähle ich als Treffpunkt dieses kleine Café. Davon lasse ich mich nicht abbringen. Es ist immer ein neuer Tag für jedes neue Paar, der in diesem kleinen Nachtcafé stattfindet. Denn alle sollen in diesem Treffpunkt aufeinandertreffen, um in diesem einen Kreuzungspunkt zu finden. Das Café ist eine erste Gemeinsamkeit. Dort füge ich vorher Getrenntes zusammen. Hier lernen sich Menschen kennen, die nie zuvor ein Wort miteinander wechselten. Tatsächlich sind sie neugierig und überrascht, als wären sie vorher nie einander begegnet. Sie wissen aber nur so viel, wie ich ihnen verrate, weil ich mir alles ausdachte. Und genau zu diesem Zeitpunkt wird mein Ausgedachtes Wirklichkeit. Dabei trinke ich mein Bier, rauche meine Zigarette und schaue ihnen bei ihrem Handeln zu. Meist sind sie voller Hoffnung, streiten selten oder sind enttäuscht. Dabei kann ich in ihren Augen sehen, dass sie die Welt um sich vergaßen.
Die Paare sind schön. Sie sitzen zusammen und sprechen miteinander – sie sind mein Werk. Jeden Abend führe ich hier neue Paare zusammen. Da ich aber ein sehr verschwiegenes Wesen bin, will ich gar nicht wissen, was weiter vor sich geht. Zu Männern spreche ich als Frau, zu Frauen als Mann. Mit ihnen treffe ich Verabredungen, für die ich beim Treffen das Datum und ein Erkennungszeichen bestimme. Auch teile ich den Anwesenden mit, was ich von ihnen erwarte, und dass ich mich auf das Zusammentreffen freue. Sie sitzen dann voreinander an einem Tisch und denken, dass es ihre Entscheidung und ihr selbstbestimmtes Handeln war, aufeinander zu treffen. Das freut mich. Alles dieses geschieht nur wegen mir, ohne dass sie sich darüber bewusst sind. Wenn sie dann aufstehen, verlassen sie das Café oftmals gemeinsam – nur in seltenen Fällen allein. Ich entlasse sie in ihre Freiheit. Da ich nicht voraussehen kann, ob sie sich für- oder gegeneinander entscheiden, bin ich oft vom Ausgang überrascht. Am Ende des Abends verwische ich meine elektronischen Spuren und verschwinde – mache mich unsichtbar.
Eigentlich ist niemand Gott. Es ist nur eine Idee – ein Hintergrundrauschen, wie die Luft, das Licht und die Schwerkraft. Wie ein physikalisches Grundgesetz, ohne das alle Teile auseinanderfallen würden und keinen Sinn ergäben.
Vielleicht ist Gott ein Typ wie ich, der sein Bier trinkt und anderen einfach bei ihrem Leben zusieht.
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